Startseite » Von der Freiheit eines selbsternannten Freibeuters – José de Esproncedas „Canción del Pirata“

Von der Freiheit eines selbsternannten Freibeuters – José de Esproncedas „Canción del Pirata“

Schriftzug "Canción del Pirata" von José de Espronceda

Zwischen einem Piraten und einem Freibeuter gibt es einen entscheidenden Unterschied: Während Piraten ohne jede Erlaubnis auf Beutejagd zur See gehen, haben Freibeuter eine Genehmigung einer Institution, etwa einer Regierung um zum Beispiel die Schiffe einer verfeindeten Regierung zu kapern. Sogar das internationale Seerecht unterschied zwischen Piraten und Freibeutern und kannte sogenannte Kaperbriefe an. Damit waren Freibeuter sowas wie Piraten mit Piratenschein und konnten somit nicht als solche angeklagt werden.

Der Protagonist in José de Esproncedas „Canción del Pirata“ konnte von so einem Kaperbrief nicht Gebrauch machen und ist ganz im Gegenteil sogar wegen Piraterie zum Tode verurteilt. Dennoch braucht er das Urteil nicht zu fürchten.

José de Espronceda und die spanische Romantik

José de Espronceda

José de Espronceda, der Autor der „Canción del Pirata“, wurde 1808 in der spanischen Provinz Badajoz geboren und ist einer der bekanntesten Vertreter der spanischen Romantik. Sein Werk wendet sich gegen die konservative spanische Gesellschaft des frühen 19. Jahrhunderts und behandelt deswegen oft gesellschaftliche Außenseiter, die gegen herrschende Konventionen rebellieren.

In seinen berühmten „Liedern“ („Canciones“) „besingt“ Jose de Espronceda das Ideal freiheitsliebender Außenseiter: So bekommen Piraten, Bettler, Henker, Verurteilte und Kosaken eine Stimme.

Die „Canción del Pirata“ ist dabei eines seiner bekanntesten Gedichte.

Analyse, Form und Aufbau der „Canción del Pirata“ von Josè de Espronceda

In der Romantik war es üblich von den strengen Regeln der Klassik abzuweichen und durch Wechsel und Kombination verschiedener Formen an Ausdruck zu gewinnen. In dieser Hinsicht ist die „Canción del Pirata“ ein typisches Gedicht der Romantik. Durch die ständigen Wechsel der Versformen und -metriken und die häufige Wiederholung des Refrains bekommt die „Canción“ ein flottes Tempo, welches die Bewegung des Piratenschiffes und die Gefühle des Protagonisten eindrucksvoll widerspiegelt.

Das Gedicht kann formal in zwei Abschnitte, eine Einleitung und einen Hauptteil, untergliedert werden.

Erster Abschnitt – Einleitung (Vers 1 – 16)

Beim ersten Abschnitt handelt es sich um eine Einleitung, in welcher dem Leser in der dritten Person der Piratenkapitän, sein gefürchtetes Schiff („el Temido“) sowie die Stimmung auf hoher See näher gebracht werden. Die Verwendung von zahlreichen stimmhaften Konsonanten (z.B. „viento“, „vela“, „vuela“, „velero“) unterstreicht dabei wie frei und ungebunden das gefürchtete Piratenschiff über das Meer gleitet.

Die zwei Strophen bestehen jeweils aus acht Versen und acht Silben, sogenannte „Octosílabos“. Das Reimschema lautet a-b-b-c d-e-e-c mit Betonungen jeweils auf der vorletzten Silbe. Ausgenommen hiervon sind der vierte und der achte Vers, welche auf der letzten Silbe betont werden.

Zweiter Abschnitt – Hauptteil (Vers 17 – 105)

Strophen

Mit dem zweiten Abschnitt beginnt der Hauptteil des Gedichtes mit dem eigentlichen Piratenlied. An dieser Stelle wechselt das Gedicht auch von der dritten Person in die erste Person. Der Protagonist, der Piratenkapitän, übernimmt also im übertragenen Sinn das Ruder und besingt sich, sein Schiff auf hoher See und sein Leben in der Freiheit. Durch dieses Stilmittel wird der Leser direkt ins Geschehen hineingezogen und identifiziert sich mit dem Piraten trotz seiner eigentlich gesetzesbrechenden Lebensführung.

Der Hauptteil wird aus fünf Teilen gebildet, welche sich jeweils aus zwei Strophen und einem Refrain zusammensetzen. Die ersten Strophen hiervon bestehen jeweils aus fünf Versen, welche wie die Strophen aus der Einleitung acht Silben umfassen, jedoch ein anderes Reimschema besitzen: a-b-a-c-c-b.

Die zweiten Strophen umfassen nur vier Silben, jedoch acht Verse wie die Einleitung sowie deren Reimschema a-b-b-c d-e-e-c.

Am Anfang des Hauptteils besingt der Pirat sein stolzes und ruhmreiches Schiff und preist sein Leben in Freiheit auf dem Meer, fernab von den sinnlosen Kriegen, Machtspielen und Gesetzen auf dem Festland. Ein Schwerpunkt des Gedichtes liegt auf der Schilderung des konsequent gelebten Freiheitgedankens der französischen Revolution. Neben der Freiheit werden auch Gleichheit und Brüderlichkeit, als weitere Ideale der französischen Revolution dargestellt. So wird die Beute fair, brüderlich und gleich aufgeteilt.

Im Laufe des Gedichtes wird offenbart, dass der Pirat zum Tode verurteilt ist, jedoch nicht um sein Leben fürchtet, ganz im Gegenteil sogar darüber lacht. Die Freiheit auf hoher See ist ihm also wichtiger als das Leben als Sklave auf dem Festland.

In den beiden letzten Strophen wird geschildert wie der Piratenkapitän trotz donnernder Kanonen, stürmender See und tosendem Wind, friedlich durch die See eingeschläfert wird. Er ist mit sich vollkommen im Reinen.

Refrain

Jeweils nach zwei Strophen folgt der Refrain, welcher als einziger Teil des Gedichtes reimlos ist. Der Wechsel von männlichen und weiblichen Versenden erzeugt jedoch einen schaukelnden Rhythmus.

Der Refrain preist die freiheitliche Lebensgestaltung des Piraten. Er ist keinem Gott, keinem Gesetz und keinem Vaterland unterworfen. Für ihn zählt stattdessen ausschließlich seine persönliche Freiheit, welche nur den Naturkräften auf hoher See unterlegen ist. Er ist sozusagen ein selbsernannter Freibeuter, der für seine Lebensführung keinen Kaperbrief benötigt.

Originaltext und Übersetzung der „Canción del Pirata“ von Josè de Espronceda

Canción del Pirata –
José de Espronceda
Piratenlied –
José de Espronceda
Con diez cañones por banda,
viento en popa, á toda vela,
no corta el mar, sino vuela,
un velero bergantín:
Bajel pirata que llaman,
por su bravura, „el Temido“,
en todo el mar conocido,
del uno al otro confin.
Mit zehn Kanonen auf jeder Seite,
Wind von achtern, mit vollen Segeln,
schneidet es das Meer nicht, sondern überfliegt es,
ein Brigg-Segelschiff*:
Piratenschiff genannt,
wegen seine Tapferkeit auch: „der Gefürchtete“,
im ganzen bekannten Meer,
von einem bis zum anderen Ende.
La luna en el mar riela,
en la lona gime el viento,
y alza en blando movimiento
olas de plata y azul;
y ve el capitán pirata,
cantando alegre en la popa,
Asia á un lado, al otro Europa,
y allá a su frente Stambul:
Der Mond schimmert im Meer,
in den Segeln stöhnt der Wind,
schreitet es voran in sanfter Bewegung,
auf silbernen und blauen Wellen;
und es erblickt der Piratenkapitän,
fröhlich singend auf dem Heck,
Asien auf der einen und auf der anderen Seite Europa,
und dort vorne Istanbul:
Navega, velero mio,
sin temor,
que ni enemigo navío
ni tormenta, ni bonanza
tu rumbo á torcer alcanza,
ni á sujetar tu valor.
Segel, mein Boot,
ohne Furcht,
dass kein Feindesschiff,
kein Sturm, keine Meeresstille,
Dich vom Kurs abbringt,
noch es schafft Deinen Mut zu zähmen.
Veinte presas
hemos hecho
a despecho
del inglés,
y han rendido
sus pendones
cien naciones
a mis pies.
Zwanzig Beuten
haben wir gemacht
zum Trotz
des Engländers,
und hundert Nationen
haben ihre Banner aufgegeben
und mir
zu meinen Füßen gelegt.
Estribillo:
Que es mi barco mi tesoro,
Que es mi Dios la libertad,
Mi ley, la fuerza y el viento,
Mi única patria, la mar.
Refrain:
Denn mein Schiff ist mein Schatz,
und mein Gott ist die Freiheit,
mein Gesetz, die Kraft und der Wind,
meine einzige Heimat, die See.
Allá muevan feroz guerra,
ciegos reyes
por un palmo más de tierra;
que yo tengo aquí por mio
cuanto abarca el mar bravío,
a quien nadie impuso leyes.
Dort führen blinde Könige
heftigen Krieg
für ein kleines Stückchen Land;
das ich hier für mich allein habe,
so viel wie das unbändige Meer umfasst,
und dem niemand Gesetze auferlegt.
Y no hay playa,
sea cualquiera,
ni bandera
de esplendor,
que no sienta
mi derecho
y dé pecho
a mi valor.
Und es gibt keinen Strand,
welchen auch immer,
keine Herrschafts-
flagge,
welche meinen Anspruch
nicht fühlt
und meinem Wert
Tribut zollt.
Que es mi barco mi tesoro,
Que es mi Dios la libertad,
Mi ley, la fuerza y el viento,
Mi única patria, la mar.
Denn mein Schiff ist mein Schatz,
und mein Gott ist die Freiheit,
mein Gesetz, die Kraft und der Wind,
meine einzige Heimat, die See.
A la voz de „¡barco viene!“
es de ver
como vira y se previene,
a todo trapo a escapar;
que yo soy el rey del mar,
y mi furia es de temer.
Auf das Kommando „Schiff naht!“
ist zu sehen
wie es sich dreht und verhindert
mit aller Macht zu entkommen;
denn bin ich der König des Meeres
und meine Wut muss gefürchtet werden.
En las presas
yo divido
lo cogido
por igual;
sólo quiero
por riqueza
la belleza
sin rival.
Von der Beute
teile ich
was ich genommen
fair auf;
Ich möchte nur
durch Reichtum
die Schönheit
sondergleichen.
Que es mi barco mi tesoro,
Que es mi Dios la libertad,
Mi ley, la fuerza y el viento,
Mi única patria, la mar.
Denn mein Schiff ist mein Schatz,
und mein Gott ist die Freiheit,
mein Gesetz, die Kraft und der Wind,
meine einzige Heimat, die See.
¡Sentenciado estoy á muerte!
Yo me rio;
no me abandone la suerte,
y al mismo que me condena,
colgaré de alguna entena,
quizá en su propio navío.
Verurteilt bin ich zum Tode!
Doch ich lache darüber;
mein Glück lässt mich nämlich nicht im Stich,
und denselben der mich verurteilt,
werde ich an einer der Rahen** aufknüpfen,
vielleicht sogar auf seinem eigenen Schiff.
Y si caigo,
¿qué es la vida?
Por perdida
ya la dí,
cuando el yugo
del esclavo,
como un bravo,
sacudí.
Und wenn ich falle,
was ist das Leben?
Aufgegeben
habe ich es schon,
als ich das Joch
des Sklaven,
wie ein wilder
abschüttelte.
Que es mi barco mi tesoro,
Que es mi Dios la libertad,
Mi ley, la fuerza y el viento,
Mi única patria, la mar.
Denn mein Schiff ist mein Schatz,
und mein Gott ist die Freiheit,
mein Gesetz, die Kraft und der Wind,
meine einzige Heimat, die See.
Son mi música mejor
aquilones,
el estrépito y temblor
de los cables sacudidos,
del negro mar los bramidos
y el rugir de mis cañones.
Meine beste Musik sind
Westwinde,
das Getöse und das Beben,
der rüttelnden Seile,
aus dem schwarzen Meer das Brausen,
und das Donnern meiner Kanonen.
Y del trueno
al son violento,
y del viento
al rebramar,
yo me duermo
sosegado,
arrullado
por la mar.
Und bei Donner
und gewaltsamen Klang
bei tosendem
Wind
leg ich mich schlafen
friedlich
eingeschläfert
durch die See.
Que es mi barco mi tesoro,
Que es mi Dios la libertad,
Mi ley, la fuerza y el viento,
Mi única patria, la mar.
Denn mein Schiff ist mein Schatz,
und mein Gott ist die Freiheit,
mein Gesetz, die Kraft und der Wind,
meine einzige Heimat, die See.
* zweimastiges Segelschiff mit Rahsegeln
** Rundholz an dem die Rahsegel geführt werden

Trivia – Metalversion und Verewigung auf einem Gehweg in Madrid

Schriftzug "Canción del Pirata" von José de Espronceda
Schriftzug des Anfangs von José de Esproncedas „Canción del Pirata“ auf einem Gehweg im Barrio de las Letras in Madrid

Während die „Canción del Pirata“ im deutschsprachigen Raum eher ein Nischendasein fristet, zählt sie in Spanien und vielen spanisch-sprechenden Ländern zu den bekanntesten Gedichten überhaupt und avancierte zu einer Art Nationalgedicht, welches viele spanische Schüler in der Schule auswendig lernen müssen. So ist es nicht erstaunlich, dass der Anfang des Gedichtes auf dem Gehweg des „Barrio de las Letras“ in Madrid verewigt wurde.

Die spanische Metalband „Tierra Santa“ hat das Piratenlied sogar in einer Rockversion vertont. Auf jeden Fall hörenswert!

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen
Scroll to Top