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Franz Marcs Weg in die Abstraktion – Rehe in kämpfenden Formen

Franz Marc - Rehe im Schilf

Der deutsche expressionistische Maler Franz Marc war zusammen mit Wassily Kandinsky Gründer der Künstlergemeinschaft „Der Blaue Reiter“ und ist vor allem durch seine Pferdebilder bekannt. Besonders berühmt ist das leider im Zweiten Weltkrieg verschollene Der Turm der blauen Pferde und Blaues Pferd I. Weniger bekannt ist, dass Marc auch eine große Zahl meisterhafter Bilder von Rehen erschaffen hat. Die folgenden 10 Werke erzählen seinen künstlerischen Werdegang von seinen malerischen Anfängen bis zur fast vollständigen Abstraktion einprägsam nach.

Frühe naturnahe Rehbilder von Franz Marc

In seinem Frühwerk verwendete Marc klassische Maltechniken, hatte einen Hang zum Naturalismus und später zum Impressionismus. Seine frühen Bilder sind in der gestalterischen Form noch ganz in der Tradition seiner Zeit gebunden. Schon der junge Künstler lässt einen Hang zur Darstellung von Tierbildern erkennen. Besonders angetan haben es ihm neben Pferden, Kühen, Hunden und Katzen vor allem Rehe. Seine Begeisterung für Rehe ging so weit, dass er später sogar zwei in seinem Garten hielt. Das kinderlose Ehepaar Marc gab ihnen die Namen „Schlick“ und „Hanni“ und behandelte sie liebevoll fast wie eigenen Nachwuchs. Wassily Kandinsky hielt in seinen Erinnerungen fest:

Dort zeigte mir Marc seine Rehe, die er wie eigene Kinder liebte.

Wassily Kandinsky über Marcs Rehe „Schlick“ und „Hanni“

Tiere waren für Marc ein Sinnbild ursprünglicher Natur und natürlicher Reinheit und symbolisierten seine Utopie einer paradiesischen und romantischen Welt.

Marcs ausgesprochenes Ziel war die „Animalisierung der Kunst“. Damit zielte er darauf ab, sich mit seinem künstlerischen Ausdruck in das Innenleben, die Seele der Tiere zu versetzen. Die Welt quasi aus Sicht der Tiere zu sehen, nicht aus Sicht des Menschen.

Zu den Tieren neigt er sich menschlich. Er überhöht sie zu sich.

Paul Klee in seinem Tagebuch über Franz Marc nach dessen Tod, 1916

Rehe gelten gemeinhin als Symbol für friedliche, sinnliche Tiere und waren daher für ihn ideal geeignet seiner Utopie in der Darstellung des Zusammenspiels von belebter und unbelebter Natur Ausdruck zu verleihen.

Die folgenden Rehbilder zeigen eine Auswahl früher Werke, gestaltet mit klassischen Techniken und in traditioneller, naturnaher Farbgebung. Bereits in dieser Phase lässt sich jedoch schon eine Entwicklung weg von naturalistisch und impressionistisch beeinflussten Gemälden (Rehe im Schilf und Rehe in der Dämmerung) hin zu ersten schwachen Abstraktionen (z.B. „Rote Rehe I) erkennen.

Rehe im Schilf (1909)

Öl auf Leinwand, 89 x 79 cm, München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen

Franz Marc - Rehe im Schilf

Rehe in der Dämmerung (1909)

Öl auf Leinwand, 70,8 x 100,5 cm, München, Städtische Galerie im Lenbachhaus

Franz Marc - Rehe in der Dämmerung

Rote Rehe I (1909)

Öl auf Leinwand, 87,6 x 88,3 cm, Privatbesitz

Franz Marc - Rote Rehe I

Franz Marcs Übergang in die Abstraktion

Ungefähr ab dem Jahr 1911 macht sich die zunehmende Abstraktion in Franz Marcs Ouevre auch in seinen Rehbildern deutlich bemerkbar. Der Grund für diese künstlerische Entwicklung liegt in Marcs Wunsch seiner künstlerischen Utopie jetzt mit optimierten Mitteln Ausdruck zu verleihen:

Ich suche mein Empfinden für den organischen Rhythmus aller Dinge zu steigern, suche mich pantheistisch einzufühlen in das Zittern und Rinnen des Blutes in der Natur, in den Bäumen, in den Tieren, in der Luft.

Franz Marc in „Das Tier in der Kunst“, Reinhard Piper, 1910

Zunehmend sind Einflüsse des modernen Expressionismus, insbesondere des Kubismus, des Futurismus und des Orphismus zu erkennen. Dabei ist bemerkenswert, dass sich Marc in dieser Phase nie ganz von der gegenständlichen Darstellung löste – und das obwohl er durch die Künstlergemeinschaft „Der Blaue Reiter“ in regen Austausch mit Wassily Kandinsky, dem abstrakten Künstler schlechthin, stand.

Ein Vergleich der beiden Rehbilder von 1909 Rehe im Schilf und Rehe in der Dämmerung mit Rehe im Schnee II von 1911 oder Rote Rehe II von 1912 zeigen Marcs Entwicklung exemplarisch auf: Auf allen vier Bildern sind jeweils zwei Rehe dargestellt, die sich dem Betrachter zu- bzw. abwenden. Aus dem ähnlichen Sujet lassen sich zwei unterschiedliche Malstrukturen erkennen. Bei den älteren Bildern von 1909 dominieren Brauntöne und breite Pinselstriche. Bei den späteren Bildern hingegen herrschen große, reine Farbflächen. Form und Farbe sind hier auf das Wesentliche beschränkt, wenn auch die Farbgebung noch relativ naturnah erfolgte.

Doch dabei sollte es nicht bleiben. Marc entwickelte nach und nach eine eigene expressionistische Farbphilosophie, welche sich deutlich in seinem späteren Werk niederschlägt. In einem Brief an seinen Künstlerfreund August Macke erklärt er seine Ansichten:

Blau ist das männliche Prinzip, herb und geistig. Gelb ist das weibliche Prinzip, sanft, heiter und sinnlich. Rot die Materie, brutal und schwer und stets die Farbe, die von den anderen beiden bekämpft und überwunden werden muss!

Mischst Du z.B. das ernste, geistige Blau mit Rot, dann steigerst Du das Blau bis zur unerträglichen Trauer, und das versöhnende Gelb, die Komplementärfarbe zu Violett, wird unerlässlich. […]

Mischst Du Rot und Gelb zu Orange, so gibst Du dem passiven und weiblichen Gelb eine megärenhafte, sinnliche Gewalt, dass das kühle, geistige Blau wiederum unerlässlich wird, der Mann, und zwar stellt sich das Blau sofort und automatisch neben Orange, die Farben lieben sich.

Blau und Orange, ein durchaus festlicher Klang.

Mischst Du nun aber Blau und Gelb zu Grün, so weckst Du Rot, die Materie, die Erde, zum Leben.

Franz Marc über seine Farbphilosphie in einem Brief an August Macke, 1910

Reh im Wald II von 1912 zeugt von der sich allmählich entwickelnden Dominanz seiner neuen Farbphilosophie. Das gelbe Reh und der farbige Hintergrund bilden nicht mehr vordergründig die Natur ab, sondern sollen die innere, geistige Seele ausdrücken.

Rehe im Schnee II (1911)

Öl auf Leinwand, 84,7 x 84,5 cm, München, Städtische Galerie im Lenbachhaus

Franz Marc - Rehe im Schnee II

Rote Rehe II (1912)

Öl auf Leinwand, 70 x 100 cm, Kochel am See, Franz Marc Museum

Franz Marc - Rote Rehe II

Reh im Wald II (1912)

Öl auf Leinwand, 110 x 81 cm, München, Städtische Galerie im Lenbachhaus

Franz Marc - Reh im Wald II

Franz Marcs abstrakte Rehbilder

Während bei allen bisher gezeigten Bildern das Reh als künstlerisches Objekt gegenständlich dargestellt und dadurch deutlich erkennbar war, wird es bei Reh im Klostergarten von 1912 nur noch schematisch wiedergegeben. Bizarre Formen und Gebilde bilden den Hintergrund und die Elemente des Klostergartens sind für den Betrachter nicht mehr erkenntlich. Allein der Mond, in der linken, oberen Bildhälfte, welchen sich das Reh zuwendet, ist erkennbar. Das Bild ist also endgültig auf das Wesentliche reduziert.

Ebenso verhält es sich bei Reh im Blumengarten, welches ein Jahr später entstand.

Tierschicksale von 1913 ist eines von Marcs bekanntesten Werken. Neben einem blauen Reh in der Mitte sind noch abstrakte Pferde, Schweine und Wölfe dargestellt, welche sich von dem brutalen und bedrohlichen Hintergrund, bei dem spitze Formen dominieren, nur schwach abheben. Marcs ursprünglicher Name für das Gemälde war „Die Bäume zeigen ihre Ringe, die Tiere ihre Adern“. Paul Klee schlug ihm den griffigen Namen „Tierschicksale“ vor, unter welchem es später berühmt wurde. Auf der Rückseite notierte Marc: „Und alles Sein ist flammend Leid.“

Später, während Marc Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg leistete, stellte er rückblickend erschaudert fest, dass dieses Gemälde wie eine Art Vorahnung des Krieges wirke.

Umso erstaunlicher erscheint die mit ähnlichen künstlerischen Mitteln erreichte Harmonie des circa ein Jahr später entstandenen Werkes Rehe im Walde II. Der blaue Rehbock dominiert hier die Mitte des Bildes und behütet zusammen mit der roten Ricke links unten das gelbe Rehkitz. Beachtenswert ist die konsequente Umsetzung seiner Farbphilosphie.

Reh im Klostergarten (1912)

Öl auf Leinwand, 75,7 x 101 cm, München, Städtische Galerie im Lenbachhaus

Franz Marc - Reh im Klostergarten

Reh im Blumengarten (1913)

Öl auf Leinwand, 77 x 55 cm, Kunsthalle Bremen

Franz Marc - Reh im Blumengarten

Tierschicksale – Die Bäume zeigen ihre Ringe, die Tiere ihre Adern (1913)

Öl auf Leinwand, 194,7 x 263,5 cm, Kunstmuseum Basel

Franz Marc - Tierschicksale (Die Bäume zeigen ihre Ringe, die Tiere ihre Adern)

Rehe im Walde II (1914)

Öl auf Leinwand, 55,5 x 71 cm, Kochel am See, Dauerleihgabe im Franz Marc Museum aus Privatsammlung

Franz Marc - Rehe im Wald II

Vollständige Abstraktion in „Kämpfende Formen“

Erst sehr spät experimentierte Marc, getrieben von einem instinktiven „inneren Zwang“, auch mit Techniken der vollständigen Abstraktion.

Und vom Tier weg leitete mich ein Instinkt zum Abstrakten, das mich noch mehr erregte; zum Zweiten Gesicht, das ganz indisch-unzeitlich ist und in dem das Lebensgefühl ganz rein klingt. Ich empfand schon sehr früh den Menschen als „hässlich“; das Tier schien mir schöner, reiner; aber auch an ihm entdeckte ich soviel Gefühlswidriges und Hässliches, sodass meine Darstellungen instinktiv (aus einem inneren Zwang) immer schematischer, abstrakter wurden.

Franz Marc an seine Frau Maria Marc in einem Brief vom 12. April 1915

Sein Meisterwerk Kämpfende Formen aus seiner späten Phase legt eindrucksvoll Zeugnis hiervon ab. Der sich anbahnende Erste Weltkrieg warf zu dieser Zeit bereits seine Schatten voraus. Auch deswegen wird das Werk mehr noch als Tierschicksale von vielen Kennern als eine künstlerische Vorahnung des sich abzeichnenden großen Krieges interpretiert.

Im Sommer 1914 wurde Marc wie sein langjähriger Freund und Künstlerkollege August Macke schließlich in den Ersten Weltkrieg einberufen. Sein Freund Macke fiel noch im selben Jahr. Marc, der zunächst wie viele seiner Generation an ein schnelles Ende des Krieges glaubte, wurde nach zwei langen Kriegsjahren 1916 in der Nähe von Verdun von einem Granatsplitter getroffen. Kurz darauf erlag er mit gerade einmal 36 Jahren seiner Verletzung.

So hat uns der schreckliche Krieg um das eigentliche Spätwerk Marcs gebracht. Wie sein weiterer künstlerischer Werdegang verlaufen wäre, ob er die Schrecken des Krieges in weiteren abstrakten Meisterwerken verarbeitet hätte oder ob er zurück zu seinen friedlichen Tier- und Rehbildern der Anfangszeit gefunden hätte, wird immer Spekulation bleiben.

Die Welt hat einen großen Künstler viel zu früh verloren.

Kämpfende Formen (1914)

Öl auf Leinwand, 132 x 91 cm, Sammlung Moderne Kunst in der Pinakothek der Moderne München

Franz Marc - Kämpfende Formen

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4 Kommentare zu „Franz Marcs Weg in die Abstraktion – Rehe in kämpfenden Formen“

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