Der expressionistische Maler Franz Marc wollte die Welt nicht darstellen, wie sie uns erscheint, sondern wie sie wirklich ist. Durch seine Kunst wollte er die wahre Seele der Welt zum Vorschein bringen. Sein Mittel war „aus der Beliebigkeit der Farbe herauszukommen“. So malte er also blaue Pferde, gelbe Kühe und abstrakte rote Flächen. Doch welche Bedeutung hatten die Farben für Marc und warum malte er Kühe eher gelb und Pferde meistens blau?
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Franz Marcs Farbphilosophie
Franz Marc hat sich sein ganzes künstlerisches Leben sehr intensiv mit Farbe beschäftigt und stand in regen Austausch mit expressionistischen Künstlerkollegen wie August Macke und Wassily Kandinsky. Zur theoretischen Untermauerung seiner Farbphilosophie hat er Goethes Farbenlehre mit großer Hingabe studiert.
Marc geht wie Goethe von den drei Grundfarben Blau, Gelb und Rot aus, welche durch Farbmischung alle anderen Farben ergeben können. Genauso wie Goethe ordnet er jeder Farbe eine individuelle Charakteristik zu. Allerdings kommt er bei dieser Charakterisierung zu durchaus anderen Schlüssen.
Durch seine zahlreichen überlieferten Schriften und Briefwechsel ist Marcs Farbphilosophie klar nachvollziehbar. Besonders ein Brief aus dem Jahr 1910 an seinen Künstler-Freund August Macke gibt Klarheit über seine Ansichten. Die folgenden Zitate von Franz Marc über seine Farbphilosophie stammen aus eben diesen Brief.
Die Farbe Blau
Beginnen wir mit Blau, einer der Lieblingsfarben von Franz Marc.
Blau ist das männliche Prinzip, herb und geistig.
Franz Marc über seine Farbphilosophie in einem Brief an August Macke, 1910
Vor allem Pferden hat Marc oft die Farbe blau verpasst und damit eher männliche Eigenschaften zugeschrieben. Blaues Pferd I wird in diesem Sinne auch oft als Selbstportrait interpretiert.
Die besondere Vorliebe für Pferde veranlasste den passionierten Reiter Marc, seiner zusammen mit Vassily Kandinsky gegründeten Redaktionsgemeinschaft sogar den Namen „Der Blaue Reiter“ zu geben.
Das wahrscheinlich bekannteste Beispiel für blaue Pferde ist das leider im 2. Weltkrieg verschollene „Der Turm der Blauen Pferde“:
Aber auch das Kinderbild „Blaues Pferdchen“ von 1912 erfreut sich großer Beliebtheit:
Die Farbe Gelb
Auch Gelb gehört zu einer wichtigen Grundfarbe in Franz Marcs Werk. Bereits im Hintergrund von Blaues Pferd I, Der Turm der Blauen Pferde und Blaues Pferdchen werden Gelbtöne zur Aufhellung der eher düsteren Grundstimmung verwendet. Am bekanntesten ist aber mit Sicherheit „Die gelbe Kuh“ aus dem Jahr 1911.
Gelb ist das weibliche Prinzip, sanft, heiter und sinnlich.
Franz Marc über seine Farbphilosophie in einem Brief an August Macke, 1910
Gelb stellt für Marc also das weibliche Gegengewicht zu Blau dar. Während Blaues Pferd I oft als Selbstportrait interpretiert wird, gehen viele Marc-Kenner davon aus, dass „Die gelbe Kuh“ ein Portrait seiner Frau darstellen könnte, da im gleichen Jahr die Hochzeit des jungen Paares stattfand. Auf den ersten Blick scheint es vielleicht wenig schmeichelhaft seine Frau als gelbe Kuh zu verewigen, aber man kann davon ausgehen, dass seine Frau Maria Marc mit seiner speziellen Farbcharakteristik und seiner künstlerischen Utopie der „Animalisierung der Kunst“ vertraut war. „Sanft, heiter und sinnlich“ ist dann durchaus als Kompliment aufzufassen.
Aber nicht nur Kühe sind bei Marc gelb. Auch unter seinen Rehbildern, die er sonst oft in natürlichem braun gehalten und in seiner späteren Phase meist rot dargestellt hat, befinden sich gelbe Exemplare. So zum Beispiel Reh im Wald II von 1912:
Die Farbe Rot
Rot ist für Franz Marc eine ganz besondere Farbe:
Rot die Materie, brutal und schwer und stets die Farbe, die von den anderen beiden [Anmerkung: Blau und Gelb] bekämpft und überwunden werden muss!
Franz Marc über seine Farbphilosophie in einem Brief an August Macke, 1910
Am deutlichsten wird dieses Konzept bei „Kämpfende Formen“ von 1914:
Unabhängig hiervon verwendet Marc rot oft für seine Rehbilder (z.B. Rote Rehe II). Materie ist hier eher im Sinne von Natürlichkeit zu interpretieren:
Die Farbe Grün
Mischst Du nun aber Blau und Gelb zu Grün, so weckst Du Rot, die Materie, die Erde, zum Leben.
Franz Marc über seine Farbphilosophie in einem Brief an August Macke, 1910
Am deutlichsten wird dieses Prinzip bei Betrachtung von Blaues Pferd I. Das „sanft, heiter und sinnliche“ Gelb im Hintergrund des Bildes, hellt die eher melancholische Grundstimmung des Bildes bereits auf. Rot, die Farbe der „Materie, brutal und schwer“ bildet den Untergrund des Werkes, auf dem das blaue Pferd fest steht. Aus diesem roten Grund wachsen grüne Pflanzen. Die Erde wird also zum Leben erweckt und bildet, neben dem gelben Hintergrund, einen weiteren tröstenden Hoffnungsschimmer in dem ansonsten eher melancholischen Bild.
Farbmischungen und Farbkombinationen
Durch Farbmischungen und Farbkombinationen versuchte Marc intensive Gefühle zu vermitteln. Trauer zum Beispiel assoziierte er mit der Farbe Violett:
Mischst Du z.B. das ernste, geistige Blau mit Rot, dann steigerst Du das Blau bis zur unerträglichen Trauer, und das versöhnende Gelb, die Komplementärfarbe zu Violett, wird unerlässlich.
Franz Marc über seine Farbphilosophie in einem Brief an August Macke, 1910
Die Kombination von Blau und Orange hingegen passte für Marc sehr gut zusammen und er verband damit einen „durchaus festlichen Klang“.
Mischst Du Rot und Gelb zu Orange, so gibst Du dem passiven und weiblichen Gelb eine megärenhafte, sinnliche Gewalt, dass das kühle, geistige Blau wiederum unerlässlich wird, der Mann, und zwar stellt sich das Blau sofort und automatisch neben Orange, die Farben lieben sich. Blau und Orange, ein durchaus festlicher Klang.
Franz Marc über seine Farbphilosophie in einem Brief an August Macke, 1910
Diese Ideen zur Farbkombination ziehen sich quer durch Marcs Werk und ließen sich an vielen Stellen nachweisen.
Als Beispiel dient hier „Rehe im Walde II“ von 1914: Der Rehbock, der die Mitte des Bildes dominiert ist hier in blau dargestellt und kann somit als Vaterfigur interpretiert werden. Die rote Ricke links unten im Bild kann als Mutter in natürlichen Rot ausgelegt werden. Zusammen behüten sie das Rehkitz, dessen gelbe Farbe folglich als „sanfte und heitere“ Darstellung eines Kind aufgefasst werden kann.
Für Marc hatte übrigens unabhängig von der Farbe die Zahl der dargestellten Tiere eine wichtige Bedeutung. Ein einzelnes Tier kann bei Marc meist als Sinnbild betrachtet werden, zwei Tiere stellen ein Paar / Liebespaar dar und drei Tiere, wie hier, kann als „Heilige Familie“ interpretiert werden.
Franz Marcs bunte Welt
Das Ziel von Franz Marc war, die Welt nicht darzustellen, wie sie uns äußerlich erscheint, sondern wie sie wirklich ist. Folglich musste er sich von der traditionellen Farbgebung früher oder später lösen. Sein Weg in die Abstraktion und die Entwicklung seiner Farbphilosophie kannst Du in dem Beitrag Franz Marcs Weg in die Abstraktion – Rehe in kämpfenden Formen am Beispiel seiner Rehbilder nachvollziehen.
Marcs Welt war kunterbunt, wie seine Bilder beweisen. Leblose Natur wird so zum Leben erweckt und Tiere werden konsequent vermenschlicht.
Seine angewandte Farbphilosophie ist ein beeindruckender Ansatz. Marc hob seine künstlerische Ausdrucksfähigkeit damit auf ein neues Level.
Es gibt keine „Gegenstände“ und keine „Farbe“ in der Kunst, sondern nur „Ausdruck“.
Franz Marc
In diesem Sinne ¡hasta la vista, CulturaLista!
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Literatur und Empfehlungen
- Susanna Partsch: Marc, Taschen Verlag, Köln 2016
- Hajo Düchting: Der Blaue Reiter, Taschen Verlag, Köln 2017
- Wilfried F. Schoeller: Franz Marc Biographie, 1. Auflage, Piper Verlag, München 2017
- Stefan Fröhling: Franz Marc Prophet der Moderne, 1. Auflage, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2015
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